In Österreich werden in den nächsten Jahren 75 Primärversorgungseinheiten entstehen. PVE’s sollen als Erstanlaufstelle die hausärztliche Versorgung modernisieren.
Gedankenexperiment
Wir schreiben das Jahr 2020. Eine alteingesessene Ärztin für Allgemeinmedizin, eine „Hausärztin“, betreibt in einer ländlichen Gemeinde eine gut gehende Einzelordination. Die Einzelordination hat zwischen 20 und 30 Wochenstunden geöffnet. Eines Tages wird in der Gemeinde die Errichtung eines Primärversorgungszentrums ausgeschrieben. Die Ärztin für Allgemeinmedizin, die bei einer Bewerbung einen Startvorteil hat, verzichtet auf eine Bewerbung. Sie möchte ihren eingespielten Ordinationsbetrieb nicht gefährden, das Einkommen ist ausreichend, die Kreditraten für den privaten Hausbau können bedient werden. In spätestens 5 Jahren möchte sich die Ärztin aus dem Berufsleben zurückziehen, ein Nachfolger, der als Vertretungsarzt in die Ordination integriert ist, steht vor der Türe und ist bereit einen niedrigen fünfstelligen Betrag als Ablöse zu bezahlen. Mit diesem Betrag möchte die Ärztin bei Pensionsantritt Ihre restlichen Schulden aus dem Hausbau abbezahlen und eine friedliche Pension genießen.
Szenenwechsel
Wir schreiben das Jahr 2021. Das Primärversorgungszentrum wurde ohne die besagte Hausärztin mit drei jungen und ambitionierten Ärztinnen und Ärzten für Allgemeinmedizin gegründet. Einer dieser Ärzte ist der der ehemalige Vertretungsarzt unserer Hausärztin. Das neue Primärversogungszentrum hat durchgehend 50 Stunden die Woche geöffnet, wobei auch Randzeiten wie Freitag abend oder Samstag vormittag abgedeckt werden. Das Primärversorgungszentrum hat die Möglichkeit, auch zahlreiche Leistungen rund um die hausärztliche Versorgung anzubieten, wie etwa Physiotherapie, Ernährungsberatung oder Wundmanagement. Auch ein diplomierter Sozialarbeiter ist vorort, der z.B. älteren Menschen bei Ausfüllen von Pflegegeldanträgen oder Rezeptgebührenbefreiungen hilft. Sämtliche Leistungen sind für den Patienten kostenlos, da es sich um Kassenleistungen handelt.
Auch wenn viele der Patientinnen und Patienten unsere Hausärztin anfangs gesagt haben, dass sie ihr sicherlich die Treue halten werden, nehmen immer mehr und mehr das Angebot des Primärversorgungszentrums in Anspruch. Unsere Hausärztin spürt bereits nach einigen Monaten einen massiven Umsatzrückgang; auch die örtlichen Fachärzte, Apotheker und auch die Gemeinde selbst suchen verstärkt den Kontakt zum Primärversorgungszentrum, auch wenn keiner der Hausärztin direkt ins Gesicht sagen möchte.
Unsere Hausärztin kommt schnell unter wirtschaftlichen Druck, die Miete und die Gehälter benötigen den Großteil des Umsatzes, es fällt immer schwerer, aus den Umsätzen in der Ordination einen Gewinn zu erzielen, um alle Privatausgaben, insbesondere die Kreditraten für das Haus zu bezahlen.
Unsere Hausärztin beruhigt sich mit dem Gedanken – auch wenn der eigentlich auserkorene Nachfolger nunmehr einer der Gründer des Primärversorgungszentrums ist – dass sie aus dem Verkaufserlös aus der Ordination in einigen Jahren den Rest des Kredites zurückzahlen und ein sorgenfreies Leben führen wird …. Bis zu dem Tag, als erfährt, dass ihre Kassenstelle gar nicht mehr ausgeschrieben wird, es gibt ja ein die Patienten bestens versorgendes Primärversorgungszentrum im Ort!
Das ist die Antwort auf die Frage, warum sich ein niedergelassener Arzt für Allgemeinmedizin mit dem Thema Primärversorgung befassen sollte.